Ergo ubi Narcissum per devia rura vagantem 370
vidit1 et incaluit1, sequitur1 vestigia furtim,
quoque2 magis sequitur, flamma propiore calescit,
non aliter quam cum summis circumlita taedis
admotas rapiunt vivacia3 sulphura flammas.
o quotiens voluit blandis accedere dictis 375
et mollis adhibere preces! natura repugnat
nec sinit, incipiat, sed, quod sinit, illa parata est
exspectare sonos, ad quos sua verba remittat.
forte puer
4 comitum seductus ab agmine fidodixerat: 'ecquis
5 adest?' et 'adest' responderat Echo. 380hic stupet utque aciem
6 partes dimittit in omnes,voce 'veni!' magna clamat: vocat illa vocantem.
respicit et rursus nullo veniente 'quid' inquit
'me fugis?' et totidem, quot dixit, verba recepit.
perstat
7 et alternae8 deceptus imagine9 vocis 385'huc coeamus!' ait, nullique libentius umquam
responsura sono 'coeamus!' rettulit Echo
et verbis favet
10 ipsa suis egressaque silva 11 sperato bracchia collo;ille fugit fugiensque 'manus complexibus
12 aufer! 390ante
13' ait 'emoriar, quam14 sit tibi copia nostri';rettulit illa nihil nisi 'sit tibi copia nostri!'
spreta latet silvis pudibundaque
15 frondibus oraprotegit et solis
16 ex illo vivit in antris;sed tamen haeret amor crescitque dolore repulsae;
17 395extenuant vigiles corpus miserabile curae
18adducitque cutem
19 macies20 et in aera sucuscorporis omnis abit; vox tantum atque ossa supersunt:
vox manet, ossa ferunt lapidis traxisse
21 figuram.inde latet silvis nulloque in monte videtur, 400
omnibus
22 auditur: sonus est, qui vivit in illa.Sic hanc, sic alias undis aut montibus ortas
luserat hic nymphas, sic coetus ante viriles;
inde manus aliquis despectus ad aethera tollens
'sic amet ipse licet, sic non potiatur amato!' 405
dixerat: adsensit precibus Rhamnusia23 iustis.
1 Subj. = Echo, Nymphe in Narcissus unglücklich verliebt; 2 quoque magis = et quo magis; 3 vivacia sulphura, Pl. n.: leicht entflammbarer Schwefel; 4 puer = Narcissus; 5 ecquis:etwa jemand; 6 aciem dimittere: seinen Blick richten; 7 perstare: stehen bleiben; 8 alterna vox: Antwort; 9 imago, inis f.: Eindruck; 10 favere + Dat: handeln nach; 11 sperato bracchia collo inicere: den ersehnten Hals zu umschlingen; 12 complexus, us: Umarmung; 13 ante: früher, vorher; 14 quam (ut): als dass; 15 pudibundus 3: verschämt; 16 solus 3: öde, einsam, menschenleer; 17 repulsa, ae: abschlägige Antwort, Abweisung; 18 vigiles curae, arum: der stets brennende Liebeskummer; 19 adducere cutem: die Haut runzeln, zusammenziehen; 20 macies, ei f.: Magersucht; 21 trahere, traxi, tractum: figuram trahere: Gestalt annehmen, bekommen; 22 (in) omnibus (montibus); 23 = Nemesis, die Göttin der Vergeltung
Übersetzungshilfen
vagantem: Part.Praes.Akk.Sg.m. von vagari zu Narcissum (Part.coni.)
Sobald sie (= Echo) also Narcissus durch entlegene
Felder wandern sah und sich für ihn begeisterte, folgte sie heimlich seinen
Spuren und je mehr sie ihm folgt, um so mehr erglüht sie
von der näheren Flamme, nicht anders, als
wenn leicht entflammbarer Schwefel an Fackelspitzen gestrichen
nahegebrachte Flammen an sich reißt. O wie oft wollte sie mit zärtlichen
Worten sich an ihn wenden und sanfte Bitten hinzuziehen. Ihr Wesen verwehrt
es und erlaubt es nicht anzufangen, aber was es gestattet, dazu ist jene
bereit, auf Laute zu warten, um darauf eigene Worte zurückzugeben.
Zufällig getrennt von der treuen Schar der Begleiter hatte Narcissus
gerufen: „ist etwa jemand da?“ und „ist da“ hatte Echo geantwortet. Dieser staunt
und wie er den Blick nach allen Seiten richtet, ruft er mit lauter Stimme:
„Komm!“ Jene ruft den, der sie ruft. Er blickt sich um und als wiederum
niemand kam, sagte er: „Warum fliehst du vor mir?“ und ebenso viele Worte,
wie er gesprochen hatte, erhielt er zurück. Er bleibt stehen und getäuscht
vom Eindruck einer Antwort sagt er: „Hier wollen wir uns vereinen!“ und
Echo, die keinem Wort lieber antworten wollte, rief zurück: „Wir wollen uns
vereinen!“ Sie selbst handelt nach ihren Worten, trat aus dem Wald und
eilte, um den ersehnten Hals zu umschlingen; Jener flieht und im Fliehen
sagt er: „Lass die Umarmung! Eher will ich sterben, als dass du Gewalt hast
über mich!“ Jene antwortete nur: „du habest Gewalt über mich!“ Verschmäht
versteckt sie sich in den Wäldern, schützt ihr verschämtes Antlitz mit Laub
und lebt seitdem in einsamen Höhlen. Aber dennoch haftet die Liebe und
wächst mit dem Schmerz der Abweisung; der stets brennende Liebeskummer verzehrt
den armseligen Körper, Magersucht runzelt die Haut und jeglicher Körpersaft
entweicht in die Luft; nur Stimme und Knochen sind übrig. Die
Stimme bleibt, die Gebeine sollen die Gestalt von Stein angenommen haben. Von da an
verbirgt sie sich in den Wäldern und man sieht sie auf keinem Berg, sie wird
aber auf allen gehört: der Schall ist es, der in jener noch lebt. So hatte Narcissus diese, so auch andere Wasser- und Bergnymphen verspottet, so auch
vorher schon Scharen von Männern; da hatte irgendein Verschmähter die Hände
zum Himmel erhoben und gefleht: „So mag er sich selbst nur lieben und so,
was er liebt nie erlangen: den gerechten Bitten stimmte die Göttin der
Gerechtigkeit zu.
So hatte Narcissus diese Nymphe, so andere Quell- oder Bergnymphen
verspottet, so auch schon früher Scharen von Liebhabern; ein Verschmähter hatte
dann seine Hände zum Himmel erhoben und gesagt: "So
mag er sich selbst nur lieben und so den Geliebten nicht besitzen!"
Rhamnusia, die Göttin der Vergeltung, stimmte den gerechten Bitten zu.