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Plinius, Epistulae V, 5

Der Tod des Fannius noch vor Vollendung seines Werkes:
Daher sollen wir uns zu Lebzeiten bemühen, dass der Tod möglichst wenig findet, was er vernichten könnte 

C. PLINIUS NOVIO MAXIMO SUO S.

C. Fannium decessisse1 mihi nuntiatur;  angit me casus ipsius, quod pulcherrimum opus imperfectum reliquit. Quamvis agendis causis distringeretur,2 scribebat tamen exitus occisorum aut relegatorum a Nerone et iam tres libros absolverat ac tanto magis4reliquos perficere cupiebat, quanto frequentius hi lectitabantur.

Mihi autem videtur acerba et immatura4 mors eorum, qui immortale aliquid parant. Nam, qui voluptatibus dediti quasi in diem vivunt, vivendi causas cottidie finiunt; qui vero posteros3 cogitant et memoriam sui operibus extendunt, his nulla mors non4 repentina est, quae semper incohatum aliquid abrumpat.

C. Fannius, quod4accidit, multo ante praesensit. Imaginatus est venisse Neronem, in toro resedisse, prompsisse primum librum, quem4de sceleribus eius ediderat, eumque ad extremum revolvisse,4 idem in secundo ac tertio fecisse, tunc4abisse. Expavit et sic interpretatus est, tamquam idem sibi futurus esset scribendi finis, qui4fuisset illi legendi; et fuit idem.

Quod me recordantem4miseratio subit, quantum laboris exhauserit frustra. Occursant animo mea mortalitas, mea4scripta. Proinde, dum suppetit vita, enitamur, ut mors quam paucissima, quae abolere possit, inveniat !

     Vale !4


1
erg.: vita; 2 distringere 3: in Anspruch nehmen; 3 posteri,orum: Nachwelt; 4 librum revolvere: ein Buch ganz durchlesen.

 

Plinius grüßt seinen Novius Maximus

Mir wird gemeldet, dass C. Fannius gestorben ist, mich ängstigt sein persönliches Schicksal, weil er ein wunderschönes Werk unvollendet zurückgelassen hat. Obwohl er durch das Führen von Prozessen in Anspruch genommen wurde, verfasste er dennoch "Das Ende der von Nero Getöteten oder Verbannten" und hatte schon 3 Bücher vollendet und wünschte umso mehr, die übrigen zu vollenden, je häufiger diese gelesen wurden.

Aber scheint der Tod derer schmerzlich und verfrüht, die etwas Unsterbliches schaffen. Denn die, die dem sinnlichen Genuss ergeben gleichsam in den Tag hinein leben, beenden täglich die Gründe zu leben; wer aber an die Nachwelt denkt und die Erinnerung an sich durch Werke ausdehnt, für den kommt der Tod viel zu früh, weil er immer etwas Begonnenes abbricht.

C. Fannius hat lange vorher geahnt, was eingetreten ist. Er träumte, Nero sei gekommen, habe sich auf sein Bett gesetzt, das erste Buch, das er über dessen Verbrechen herausgegeben hatte, genommen und es ganz durchgelesen, dasselbe habe er  mit dem 2. und 3. gemacht und sei dann weggegangen. Fannius erschrak und deutete es so, dass er gleichsam mit dem Schreiben dort aufhören werde, wo jener mit dem Lesen aufgehört hatte, und so war es dann auch.

Und wenn ich daran denke, befällt mich Bedauern, wie viel Arbeit er vergeblich vertan hat. Meine eigene Sterblichkeit und meine Schriften fallen mir ein. Daher wollen wir, so lange wir leben, uns bemühen, dass der Tod möglichst wenig findet, was er vernichten könnte.

Leb wohl!


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