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Ovid, Epistulae ex Ponto 1, 5, 29-54

        Der Nutzen des Unnützen

29    Cur igitur scribam, miraris? Miror et ipse 
           et tecum quaero saepe, quid inde petam.  
        An populus vere sanos negat esse poetas, 
           sumque fides huius maxima vocis ego,
        qui, sterili totiens cum sim deceptus ab arvo, 
           damnosa persto condere semen humo?
35     Scilicet est cupidus studiorum quisque suorum,  
           tempus et adsueta ponere in arte iuvat. 
        Saucius eiurat pugnam gladiator, et idem 
           inmemor antiqui vulneris arma capit. 
        Nil sibi cum pelagi dicit fore naufragus undis, 
40        et ducit remos qua modo navit aqua.  
        Sic ego constanter studium non utile servo 
           et repeto nollem quas coluisse deas. 
        Quid potius faciam? Non sum, qui segnia ducam 
           otia: mors nobis tempus habetur iners. 
45     Nec iuvat in lucem nimio marcescere vino  
           nec tenet incertas alea blanda manus. 
        Cum dedimus somno, quas corpus postulat, horas, 
           quo ponam vigilans tempora longa modo? 
        Moris an oblitus patrii contendere discam 
50        Sarmaticos arcus et trahar arte loci?  
        Hoc quoque me studium prohibent adsumere vires 
           mensque magis gracili corpore nostra valet. 
        Cum bene quaesieris, quid agam, magis utile nil est 
           artibus his, quae nil utilitatis habent. 

V29: miraris, miror: Polyptoton; V39 cum... undis: Hyperbaton

ÜBERSETZUNG

29    Warum ich also dichte, wunderst du dich? Ich wundere mich auch selbst
            und ich frage mich oft genauso wie du, was ich damit zu erreichen versuche.
       
oder sagen die Leute wirklich, dass Dichter verrückt sind?
            ich bin ja der stärkste Beweis dieser Aussage,
        der ich, obwohl ich sooft von unfruchtbarem Ackerland getäuscht worden bin,
            beharre, Samen in verderblichen Boden einzubringen?
35     Natürlich ist ein jeder begierig nach seinen Neigungen
            und es freut ihn, Zeit in seiner gewohnten Fähigkeit aufzuwenden.
        Verwundet schwört der Gladiator dem Kampf ab und doch
            denkt er nicht an die alte Verwundung und ergreift die Waffen.
        Wann ein Schiffbrüchiger sagt, dass er mit mit den Wellen des Meeres nichts mehr zu tun haben will,
40         führt er doch schon bald dort die Ruder, wo er eben noch geschwommen ist.
        So halte ich standhaft an meiner nutzlosen Neigung fest
            und kehre zu den Musen zurück, die ich lieber nicht verehrt hätte.
        Was soll ich anderes machen? Ich bin keiner, der sein Leben in trägem Müßiggang führt:
            untätige Zeit gilt mir als Tod 
45    Es freut mich weder von übermäßigem Weingenuss bis zum hellen Morgen, Katzenjammer zu haben
            noch beherrscht verlockender Würfel die zitternden Hände.
        Wenn ich dem Schlaf die Stunden, die der Körper braucht, gegeben habe,
            wie soll ich wachend die lange Zeit verbringen?
        Soll ich die angestammte Sitte vergessen und lernen,
50         sarmatische Bögen zu spannen und von der Kunst des Ortes angezogen werden?
        Auch hindern mich meine Kräfte, diese Neigung anzunehmen
            und mein Verstand ist stärker als mein zierlicher Körper.
        Wenn du gut überlegt hast, was ich mache, es gibt nicht Nützlicheres
            als diese Künste, die keinen Nutzen haben. 

Versmaß


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